Indigene in Nicaragua – Der anhaltende Kampf um Anerkennung

von 14 julian

Fünf Prozent der nicaraguanischen Bevölkerung (1) bezeichnet sich als indigen (2), wobei afroamerikanische Ethnien nicht berücksichtigt sind (diese machen etwa weitere 9% aus). Mit der Eroberung der Pazifikküste durch spanische Einwanderer begann im 16. Jahrhundert eine Phase der Unterdrückung. Territoriale Enteignungen, Verbot indigener Sprachen, Religionen und Traditionen führten zu einem graduellen Identitätsverlust indigener Völker am Pazifik, im Zentrum und Norden Nicaraguas.


Indigene Völker in Nicaragua aufgeschlüsselt nach Grösse der jeweiligen Volksgruppe

Etwas besser erging es Indigenen im Osten Nicaraguas. Zwar unterstand diese Region seit dem frühen 17. Jahrhundert britischer Kontrolle, doch die Briten gingen mit den Indigenen vor Ort strategische Allianzen ein, mit dem Ziel, Verbündete gegen die immer wieder nach Osten vordringenden Spanier zu gewinnen und um Tauschhandel zu betreiben. Dabei blieben die Rechte und die Kultur der Indigenen im Wesentlichen unangetastet.

Diese ungleiche Behandlung indigener Völker zeigt bis heute deutliche Auswirkungen. Während Indigene in der Atlantikregion (Miskito, Mayangna und Rama) ihre Identität bis heute weitgehend erhalten konnten, ist dieses kulturelle Gut in den ehemals von Spanien erorberten Regionen oftmals verloren gegangen. (3)


Landkarte Nicaraguas

In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts kam es zu gewaltsamen Konflikten zwischen Indigenen der Atlantikregion und dem von der sandinistischen Regierung regierten Staat Nicaragua (4)(5). Mit der Schaffung der „Región Autónoma del Atlántico Norte“ (RAAN), in denen hauptsächlich Miskito und Sumo-Mayagna leben, und der „Región Autónoma del Atlántico Sur“ (RAAS), in der Ramas, Garífunas sowie Afro-Kariben leben, fand der Konflik 1987 sein Ende. Hieraus resultiert eine stark divergierende Rechtslage für indigene Völker in Nicaragua, denn viele der zum Schutz indigener Rechte erlassenen Gesetze beziehen sich ausschließlich auf diese Gebiete. Daher sind Indigene der Atlantikregion strukturell besser gestellt als Indigene andere Regionen Nicaraguas.

Die Verfassung Nicaraguas wird im Bezug auf Indigenenrechte als fortschrittlich angesehen. In der Realität kommt es dagegen immer wieder zur Missachtung dieser Rechte. Unter anderem haben Indigene das Recht auf die freie Ausübung ihrer kulturellen Identität und die Beibehaltung ihrer traditionellen Organisations- und Verwaltungsformen. Darüber hinaus garantiert ihnen das Gesetz ihren traditionellen kommunalen Landbesitz und die freie Nutzung der natürlichen Ressourcen.

Die neusten Pläne der Regierung unterminieren die hart erkämpften Rechte der Indigenen erneut. Ohne auf die geltende Gesetzeslage Rücksicht zu nehmen, wurde die Konzession zum Bau des Nicaraguakanals an die chinesische HKND vergeben (6). Die geplante Kanalroute tangiert auch indigene Territorien in Gemeinbesitz. Die nach dem Gesetz vorgesehene Konsultierung und Einbindung der betroffenen Autonomieverwaltungen hat nicht stattgefunden. Stattdessen hüllen sich die Regierung und sein chinesischer Partner in Schweigen, während die Territorien unter Polizeischutz von HKND-Mitarbeitern vermessen werden (7). Klar ist, dass, sollte der Kanal wirklich Realität werden, diese Menschen zu den großen Verlierern gehören. Sie verfügen meist nicht über Qualifikationen, die die Voraussetzung für einen der Jobs sind, die die Regierung immerzu verspricht. Stattdessen werden sie nicht nur ihrer Lebensgrundlage, sondern auch ihrer Heimat und, eng damit verbunden, auch ihrer Kultur beraubt.

Die indigene Gemeinschaft hat jedoch nicht, in teils blutigen Auseinandersetzungen, ihre Kultur, Sprache und Heimat über die letzten Jahrhunderte gerettet, um nun kampflos der HKND das Feld zu überlassen. Wie auch schon in der Vergangenheit (8) nutzen sie die Möglichkeit juristisch auf internationaler Ebene gegen die Verstöße der Regierung vorzugehen. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (Comisión Interamericana de Derechos Humanos (CIDH)) hat entsprechende Eingaben bereits akzeptiert und wird diese verhandeln (9).

Weitere Infos zum Nicaraguakanal sind in meinen vorherigen Blogbeiträgen zu finden:
Ein Geschenk an Nicaragua, ein Kanal für wen?
Nicaragua: Der Kanal und was ich davon mitbekomme


1) The World Factbook
https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/nu.html

2) Definition „Indigene“ aus Wikipedia:
„Indigene Völker […] sind nach einer international geltenden Definition diejenigen Bevölkerungsgruppen, die Nachkommen einer Bevölkerung sind, die vor der Eroberung, Kolonisierung oder der Gründung eines Staates durch andere Völker in einem räumlichen Gebiet lebte, und die sich bis heute als ein eigenständiges „Volk“ verstehen und eigene soziale, wirtschaftliche oder politische Einrichtungen und kulturelle Traditionen beibehalten haben.“

3) „Indigene Völker in Nicaragua“, Koordinationsstelle Indigene Völker in Lateinamerika und Karibik, Julia Unger, GIZ, 2010

4) Wikindigena.org, Indigene in Nicaragua, Februar 2015,
http://wikindigena.org/wiki/Indigene_in_Nicaragua

5) Wikipedia, Miskito people, Februar 2015,
http://en.wikipedia.org/wiki/Miskito_people#During_the_20th_century

6) The Guardian, J.Kaiman, 20.01.2015
http://www.theguardian.com/world/2015/jan/20/-sp-nicaragua-canal-land-opportunity-fear-route

7) Kurzdokumentation über das Ramadorf Bangkukuk, PrettyGoodProductions, June 2014,
http://vimeo.com/109026969

8) Der Fall der Gemeinde Awas Tingni erlangte internationale Aufmerksamkeit. Der Landrechtsstreit zwischen der Gemeinde Awas Tingni und dem Staat Nicaragua bezüglich einer Abholzungskonzession, bewilligt durch das nicaraguanische Umweltministerium, wurde vor der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (CIDH) zu gunsten Awas Tingnis verhandelt.

The Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua, Judgment of August 31, 2001, Inter-Am. Ct. H.R., (Ser. C) No. 79, 2001 http://www1.umn.edu/humanrts/iachr/AwasTingnicase.html

9) „La CIDH estudia denuncia de pueblos indígenas y afrodescendientes por el Canal“, Centro de Asistencia Legal a Pueblos Indígenas (CALPI), Comunicado de Prensa, 25.11.2014,

BlogNo:06

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