Ein Geschenk an Nicaragua, ein Kanal für wen?

von 14 julian


Weihnachtszeit ist Geschenkezeit. Und dieses Jahr bekommen das Land Nicaragua und seine Bevölkerung etwas ganz Besonderes, einen gigantischen Kanal. So formulierte es sinngemäß Paul Oquist, der US-amerikanische Berater des Präsidenten Daniel Ortega, gegenüber der Zeitung The Guardian (1). Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch die Frage: Wer beschenkt hier eigentlich wen? Was das ganze Projekt allerdings tatsächlich mit einem Geschenk gemein hat ist, dass man vor dem Auspacken nicht weiß, was es genau drinsteckt.

Die Informationspolitik der nicaraguanischen Regierung und der HKND, dem chinesischen Unternehmen, das die Konzession für die praktische Umsetzung erhalten hat, ist sehr dürftig und äußerst intransparent. Viele Fragen bleiben unbeantwortet, was eine Bewertung des Projekts in vielen Punkten erschwert, bis fast unmöglich macht. Da der Staat hier seiner Verantwortung nicht nachkommt, müssen nichtstaatliche Organisationen, wie das Centro Humboldt und die Academia de Ciencias de Nicaragua, diese Arbeit leisten. Mit der Durchführung von Studien und Analysen, soll eine unabhängige Einschätzung und somit ein eigener Standpunkt der Zivilgesellschaft ermöglicht werden.

Die offiziellen Stellen versprechen zigtausende neue Jobs, geschaffen durch den Kanal, und vor allem einen Sprung in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Nicaraguas. Es ist der Traum eines einfachen, schnellen Weges aus der Armut, hin zu einem Land von wirtschaftlicher Stärke und allgemeinem Wohlstand. Nach einer Analyse des Verlegers und Autors Melvin Wallace werden Großprojekte, die von chinesischen Unternehmen umgesetzt werden, fast ausschließlich mit eigenem, chinesischem Personal realisiert, sodass die Auswirkung auf den lokalen Arbeitsmarkt weniger stark ausfallen könnte als erhofft. Und wenn schon, wie nachhaltig werden diese Jobs geschaffen? Verschwinden sie einfach nach Fertigstellung des Projekts wieder? Jobs welcher Natur werden geschaffen? Arbeiten letztendlich die im Zuge der Projektrealisierung Enteigneten zu Hungerlöhnen in niedrig qualifizierten Jobs? (4)

Eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung bringt soziale, ökologische und wirtschaftliche Entwicklungsziele in Einklang. Sie schafft damit die Grundlage für ein sozial gerechtes und ökologisch nachhaltiges Wachstum, das effektiv zu Beschäftigung und Armutsbekämpfung beiträgt (3). Hierbei handelt es sich um einen kontinuierlichen und dynamischen Prozess. Eine kontinuierliche Anstrengung zur Verbesserung der Rahmenbedingen ist notwendig. Diese beinhalten unter anderem Verbesserung in der Bildung, Verbesserung in der Regierungsführung, Stärkung der Landwirtschaft und die Diversifizierung der Wirtschaft (5). Die Bildung hat in der politischen Landschaft Nicaraguas einen niedrigen Stellenwert und ist daher extrem unterfinanziert.


Eine Voraussetzung, um für ausländische Investoren interessant zu sein, ist eine niedrige Korruptionsrate und politische Stabilität. Doch Nicaragua ist eines der korruptesten Länder Lateinamerikas (6) und von Seiten der Regierung kann wohl kaum auf Bemühungen zur Verbesserung in diesem Punkt gehofft werden. Der Präsident Daniel Ortega und seine Partei, der FSLN, bauen Stück für Stück ihre Macht im Staat aus. Sie haben die Gewaltenteilung faktisch abgeschafft, die meisten Medien aufgekauft und müssen sich in den letzten drei Wahlen den gut begründeten Vorwurf des Wahlbetruges gefallen lassen. Zunehmend entsteht eine Situation, in der ein Machtwechsel auf demokratischem Wege unmöglich wird, potentiell ein politisches Pulverfass! Eine Umsetzung des Kanalprojekts würde diese Entwicklung weiter befeuern. Zudem kann die massenhafte Enteignung von Grundstückseignern, in der Mehrheit Kleinbauern und indigene Territorien in Gemeinbesitz, entlang der Kanalstrecke zu politischen Unruhen führen.

Nicaragua ist ein Agrarland. Die Lebensmittelpreise steigen seit 2007 kontinuierlich an, vermutlich ein Trend, der weiter anhalten wird. Dies führt zu Hunger in den ärmsten Teilen der Bevölkerung, bringt aber auch Chancen, wenn höhere Preise aus dem Weltmarkt auf den lokalen Markt der Landwirte übertragen werden können. Das Vorhandensein von Ressourcen allein (Mineralien oder landwirtschaftliche Rohprodukte) führt meist nicht zu Wohlstand. Es muss ein Weg gefunden werden, die Umgestaltung der Landwirtschaft, hin zu produktiven und nachhaltigen Anbaumethoden, und die Diversifizierung sowohl der urbanen als auch ländlichen Wirtschaft voranzutreiben. Derzeit richtet die Mehrheit der Landwirte und Viehbauern mit nicht nachhaltigen Anbaumethoden ihr Land, ihre wichtigste Ressource, zugrunde.

Um die Voraussetzungen für nachhaltige Entwicklung ist es also nicht unbedingt gut bestellt. Große Infrastrukturprojekt, wie z.B. ein Schifffahrtskanal, können unter gewissen Voraussetzungen Teil nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung sein, aber nur wenn eingebunden in einen kontinuierlichen Entwicklungsprozess und nicht isoliert von diesem (7)! Die immensen Umweltschäden, die ein solches Projekt nach sich zieht, bedrohen darüber hinaus Wirtschaftsbereiche, in denen positive Entwicklungen bereits zu verzeichnen sind, so zum Beispiel in der Tourismusbranche.

Die langfristige Wirtschaftlichkeit des Projekts wird von Experten angezweifelt. Tatsächlich ist das Projekt auch eine Antwort auf die derzeit angespannte Lage innerhalb der chinesischen Wirtschaft. Durch das schwächelnde Wirtschaftswachstum kämpft China gegen enorme Überkapazitäten an, durch Abbau von Produktionskapazitäten, inländische Infrastrukturprojekte und weltweite Investitionen in große Infrastrukturprojekte. Dafür ist es nicht unbedingt nötig, dass alle diese Projekte für sich letztendlich rentabel sind (8). Dies neben all den weiteren Interessen Chinas, wie den umfangreichen Landnutzungsrechten entlang der Kanalstrecke und der sich Unabhängigmachung vom Panamakanal (motiviert durch die Hegemoniekonkurrenz gegenüber den USA und der EU).

Beim Kanal selbst und seiner dazugehörigen Infrastruktur (Häfen, Flughäfen, Pipelines, Bau- und Instandhaltungsinfrastruktur) handelt es sich um eine Sonderwirtschaftszone, so dass die Gefahr besteht, dass wirtschaftliches Wachstum auf diese Zone beschränkt bleibt und Nicaragua gesamtwirtschaftlich davon nur wenig profitiert. Und wenn, nennenswert erst ab dem Jahr 2124, nach dem Auslaufen der Konzession. Alle heutigen Verantwortlichen sind zu diesem Zeitpunkt nicht mehr haftbar zu machen.

Das Land Nicaragua und seine Bevölkerung sollte sorgsam abwägen, ob es für diese vage Hoffnung auf mehr Wohlstand bereit ist, immense Umweltschäden und -risiken in Kauf zu nehmen. Die Möglichkeiten politischer Einflussnahme sind dabei stark eingeschränkt. Der Traum vom schnellen Wohlstand für alle, wird sich jedenfalls nicht so einfach erfüllen. Und man muss wohl annehmen, dass der Nicaraguakanal ein Geschenk an China und die Eliten Nicaraguas ist, und nicht an die nicaraguanische Bevölkerung.


1 „Nicaraguans promised ‘big Christmas present’ with work due on new canal“, The Guardian, 20.11.2014 link

2 "Los chinos construyen con su gente", Julián Navarrete, Confidencial, 17.12.2014

3 „Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung – eine Herausforderung für alle“, BMZ, link

4 „HABLANDO EN SERIO SOBRE LOS ¨COSTOS Y BENEFICIOS¨ ECONOMICOS DEL CANAL”,Adolfo José AcevedoVogl, Facebookpost, 20.12.2014 link

5 „Fünf Schritte für die am wenigsten entwickelten Länder“, Unric, Mai 2011, link

6 „Nicaragua entre los más corruptos de Latinoamérica“, Juan Palop, Confidencial, 03.12.2014 link

7 „El canal y la ilusión del desarrollo“, Adolfo José Acevedo Vogl, El canal interoceánico por Nicaragua (Academia de Ciencias de Nicaragua), 2014, ISBN: 978-99964-0-287-6

8 „El exceso de capital que China debe exportar“, Adolfo José Acevedo Vogl, La Prensa, 25.11.2014 link

BlogNo:05 forestguardians.net/blog/bV9

1 Kommentar

Kommentar von: Fabi J. [Besucher]  

Hallo Julian,
guter Text, freut mich, dass du dir auch die Mühe machst richtig zu recherchieren.
Ich frage mich, woher eine relevante Protestbewegung im Land kommen soll… Die enteigneten Kleinbauernfamilien haben nichts mehr zu verlieren (außer ihrem Leben) und könnten sich auflehen, sind aber wahrscheinlich zu wenige, um wirklich etwas zu bewirken. Die restliche Bevölkerung hat entweder Angst, ist nicht oder falsch informiert oder ist so mit dem blanken Überleben beschäftigt, dass sie keine Zeit und keine Kraft haben für Protest.
Bleibt noch die Möglichkeit, dass das Projekt durch Proteste oder Interventionen aus dem Ausland gestoppt oder unterbrochen wird. Aber schert sich die chinesische Regierung um Proteste von Zivilbevölkerungen anderer Länder? Wohl kaum.
Die USA werden hier natürlich ziemlich vor’s Schienbein getreten und die haben schon immer einen Grund gefunden, irgendwohin Soldaten zu entsenden… Dieses Projekt bietet ordentlich Sprengstoff, innen- wie außenpolitisch. Bin gespannt, wann der Bogen überspannt ist und sich die Wut der Unterdrückten, Armen und Vertriebenen entlädt. Vielleicht erst, wenn es zu spät ist, das Projekt abgeschlossen ist und sie merken, dass ihnen falsche Versprechungen gemacht wurden…
Beste Grüße, Fabian


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